Mysteriöser Absturz eines britischen Halifax-Bombers von 1945 aufgeklärt (2024)

Brian Hawkes besucht die Absturzstelle in Halle - „Archivrecherche wie ein Krimi!“

Fast 10 Jahre lang recherchierte Brian Hawkes zum Schicksal seines Onkels Stanley Moore, der als 19-Jähriger im Januar 1945 an den Hesselner Bergen abstürzte. Durch die Hilfe von Andreas Großpietsch und dem Team des Museum Haller ZeitRäume gelang es jetzt, das Rätsel zu lösen. Die Suche gestaltete sich sehr berührend und zugleich spannend wie ein Krimi…

Die Geschichte könnte mit einem sehr jungen Pärchen beginnen, das sich an einem Freitagabend, dem 5. Januar 1945, draußen im Dunkeln und ausgerechnet während eines Fliegeralarms, heimlich traf. Vom Hof Kley aus, der auf der Grenze zu Hesseln lag, erlebten die beiden, wie ganz in der Nähe ein brennendes Flugzeug niederging, aufsetzte und ein Stück weiter schließlich liegen blieb. Die wenigen sterblichen Überreste sollen aus den Trümmern geborgen worden und in Halle, auf Friedhof III, beigesetzt worden sein. Das Kreuz habe die Aufschrift getragen: "Unbekannter englischer Flieger, † 5. Januar 1945." Um wen es sich handelte, blieb ein Rätsel.

Das erzählte die damals 14-jährige Augenzeugin im Sommer 2012 dem Zeitungsredakteur Andreas Großpietsch. Nach einer Probesuche mit einem Metalldetektor fand er die Zeitzeugenerinnerung bestätigt. Zwar waren nur sehr kleine Teile zu finden, die gehörten aber eindeutig zu einem Flugzeug. Großpietsch schrieb einen Zeitungsartikel­, auf den auch „Die Welt“ aufmerksam wurde. Sie veröffentlichte die Geschichte in ihrer gedruckten so wie in der online-Ausgabe. In der „Welt“ wurde auch Martin Wiegand vom Team des Museums Haller ZeitRäume erwähnt. Denn gerade zu dieser Zeit unterstützte das Museumsteam eine Halifax-Grabung gleich hinter der „Kaffeemühle“ unter Federführung der LWL-Archäologie. Der Beitrag der „Welt“ ist noch immer online und kann weltweit gefunden werden…

Das Geheimnis wird gelüftet – Besuch aus England

Im Juni dieses Jahres entdeckte Brian Hawkes den Beitrag der „Welt“ im Internet – per KI ins Englische übersetzt. Seit Jahren forscht Hawkes zum Schicksal des „großen Bruders“ seiner Mutter. Alles, was er aus Dokumenten der Royal Air Force und des Nationalarchivs wusste, passte plötzlich genau: Flugzeugtyp, Tag, Uhrzeit und Ort des Absturzes. Voller Freude und Hoffnung nahm er Kontaktnach Halle auf. Wenige Tage später meldete sich das Haller Geschichtsmuseum per Mail bei ihm: Dr. Katja Kosubek bot die Hilfe ihres Teams an und konnte auch den Kontakt zu Andreas Großpietsch herstellen. Kurzentschlossen reiste Brian Hawkes nach Deutschland, um am 5. August vor Ort zu recherchieren.

Der „unbekannte Flieger“ - Stanley Moore

Heute, fast 80 Jahre nach dem Absturz, wissen wir, um wen es sich bei dem verunglückten „unbekannten Flieger handelte“: Es war der Stanley Moore, Spitzname "Ginger", 19 Jahre alt, Flugingenieur der Royal Air Force in einem Bomber vom Typ Halifax Mark II, genannt "Willie the Wolf". Das berichtete Brian Hawkes, als er jetzt für zwei Tage in Halle war. Er hatte für Martin Wiegand, Andreas Großpietsch und Katja Kosubek (als Museumsleiterin und allgemeiner Ansprechpartnerin) eine Präsentation vorbereitet, welche die ganze, ebenso spannende wie tragische Geschichte darstellte.

Stanley Moore war demnach der einzige Engländer in seiner siebenköpfigen Crew, die anderen sechs Besatzungsmitglieder kamen aus Kanada. Wegen seiner rötlich-braunen Haare nannten sie ihn „Ginger“. Im zivilen Leben spielte Stanley gern Klavier und sollte einmal die Firma seines Vaters übernehmen, der sich auf Wollstoffe spezialisiert hatte. Seine Hoffnung war es, durch die 18-monatige Ausbildung zum Flugingenieur Zeit zu gewinnen, so dass der Krieg dann schon vorüber wäre und er nicht mehr zum Einsatz käme. Doch sein Plan ging nicht auf.

Nachtjäger attackiert „Willie the Wolf“

Die Crew hatte bereits mehr als 20 Einsätze geflogen, zuletzt immer mit der Halifax KW-W NP999 "Willie the Wolf". Am Abend des 5. Januar 1945 flogen sie einen Großangriff auf die Industrieanlagen im Norden Hannovers mit. Sie waren bereits auf dem Rückweg über Holzminden/Höxter, als unbemerkt unter ihnen ein deutscher "Nachtjäger" flog. Der 22-jährige deutsche Pilot, Kurt Matzak, hatte bereits insgesamt sieben Flugzeuge sicher abgeschossen, neun weitere möglicherweise. Zwischen Detmold und Bielefeld beschoss er die Halifax von unten. Ein Geschoß drang durch den Bauch des Flugzeugs ins Innere und traf Stanley Moore tödlich. Zugleich begann der rechte Flügel zu brennen, das Flugzeug wurde instabil und die Besatzung geriet in Panik. Der Pilot, Vincent Brimicombe, gab der Mannschaft den Befehl, die Fallschirme einzuklinken und abzuspringen. Sein Versuch, den leblosen Stanley noch aus dem Flugzeug zu bekommen, scheiterte. Sieben Minuten nach dem Treffer stürzte die Maschine an den Hesselner Bergen ab.

In der Familie Moore/Hawkes wurde nie über Stanley gesprochen. "Maybe it was to painful for my grandfather and my mother, his younger sister." ̶ vielleicht war es zu schmerzlich, sagt Brian Hawkes.

Stiller Augenblick an der Absturzstelle

Unter dem Eindruck dieser Geschichte ging es auf eine Wanderung von der „Kaffeemühle“ in die Hesselner Berge, zur vermuteten Absturzstelle. Es war für Brian Hawkes und auch für seine Haller Begleiter ein sehr berührender Moment, dort auf dem Berg zu stehen, unter den Bäumen im langen Gras, Abendsonne über der Landschaft, und die ganze Geschichte noch einmal Revue passieren zu lassen. Brian sagte, er habe das Gefühl, angekommen zu sein, die Nähe zu seinem Onkel gefunden zu haben, die er so lange gesucht hatte.

Willkommensgruß des Stellvertretenden Bürgermeisters

Am Tag darauf, Dienstag, den 6. August, waren Brian Hawkes und Katja Kosubek im Stadtarchiv verabredet. Für einen Willkommensgruß schaute auch Halles Stellvertretender Bürgermeister Axel Reimers vorbei, der selbst großes Interesse an Geschichte hat. Nach einem angeregten Austausch wünschte er viel Erfolg bei der Archivrecherche. Doch was würden die Akten hergeben? Tauchte der „unbekannte englische Flieger“ darin überhaupt auf? Gemeinsam begannen Kosubek und Hawkes ihre Detektivarbeit.

Sternstunde der Archivarbeit

Im Vorfeld hatte Katja Kosubek als Archivleiterin bereits ein Dutzend Akten gesichtet, die dem Aktentitel nach in Frage kamen. Wirklich vielversprechend waren zwei von Ihnen: CS 136 „Kriegsgräberfürsorge - mit Verzeichnissen der Kriegstoten“ und CS 109a „Luftangriffe, Behandlung Kriegsgefangener feindlicher Luftwaffen“. Letztere enthielt den entscheidenden Hinweis: In einem nüchternen Verwaltungsvorgang zum Flugzeugabsturz vom 5. Januar 1945 hieß es unter anderem: „Todesanzeige dem hiesigen Standesamt erstatten“.

Sollte der „feindliche Flieger“ tatsächlich im Haller Sterbebuch auf das Jahr 1945 verzeichnet sein? Mit etwas Herzklopfen schloss die Archivleiterin den Stahlschrank mit den Standesamtsregistern auf und blätterte durch die ersten Seiten des Jahres 1945, dann legte sie Hawkes den Jahresband mit einem Lächeln vor. „This is the only and greatest gift I have for you - the official death certificate“ ̶ dies ist das einzige und vielleicht größte Geschenk, dass ich Dir machen kann, erklärte Kosubek, der amtliche Sterbebucheintrag Nr. 11/1945. Dort hieß es: „Ein unbekannter Mann, Angehöriger der Besatzung eines Feindflugzeugs ist am 5. Januar 1945 um 19.55 Uhr in Hesseln auf dem Waldgrundstück Flur 1 Parzelle Nr. … tot aufgefunden.“ - beurkundet durch dem Amtsbürgermeister Eduard Meyer zu Hoberge.

Alles passt zusammen.

Am Ende seiner Suche hielt Brian Hawkes nun tatsächlich die amtliche Sterbeurkunde seines vermissten Onkels in den Händen – ein Gänsehaut-Moment. Aber war dort nicht auch der Fundort des Toten genannt? Schnell war eine ältere Flurkarte von Hesseln im Kartenschrank des Archivs gefunden und die richtige Parzelle ausgemacht. Es war genau die Stelle, die Brian Hawkes auf der Grundlage seiner Recherchen und Überlegungen vermutet hatte, unweit der Funde von Andreas Großpietsch. Alles passte zusammen.

Ein Besuch auf Friedhof III war der Abschluss des Besuchs. Hier war Stanley Moore etwa zwei Jahre bestattet gewesen, bevor sein Leichnam auf den Militärfriedhof in Sage bei Ostfriesland überführt wurde. Früh am folgenden Morgen startete Brian Hawkes Flieger zurück nach England. Im Gepäck hatte er eine beglaubigte Kopie der Sterbeurkunde, einige bewegende Erlebnisse und den Entschluss, bald mit seiner Familie nach Halle zu kommen.

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